SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT: Kein Thunfisch, kein Glück
Heftige Regenfälle, Wirbelstürme – für die Fischer auf den Philippinen ist der Klimawandel längst Realität. Dass der Thunfisch abwandert, bereitet ihnen aber noch größere Sorgen.
von Sina Horsthemke
Ernesto Buasan dreht eine Schachtel Zigaretten in den Händen und beißt sich auf die Unterlippe. Der 59-Jährige ist nervös. Auf einem beigefarbenen Plastikstuhl sitzt er vor einem kleinen Büro, in das er gerade einen Zettel gereicht hat. »42,5 Kilo« stand darauf. Das hatte die Waage auf der anderen Straßenseite angezeigt. Es ist das Gewicht von Ernesto Buasans Fang der vergangenen Nacht. Zwei Männer waren nötig gewesen, um den riesigen Thunfisch und auf die Waagschale zu hieven.
Während im Hafenviertel von Tabaco der Tag beginnt, sehnt sich Buasan nach einer Pause. Er hat die gesamte Nacht auf See verbracht und erreichte erst Morgens um sechs Uhr wieder den Hafen von Tabaco; zwei Große Goldmakrelen und den mehr als 40 Kilogramm schweren Gelbflossenthun im Gepäck. Für wieviel Geld er die Fische nun verkaufen kann, weiß er noch nicht. Die Frau im Büro, die den Zettel entgegen nahm, bestimmt die Preise. »Es war eine gute Nacht«, sagt Buasan. Doch zuvor habe er zehn Tage lang keinen einzigen Fisch fangen können. »Ich musste zu Hause auf San Miguel bleiben und auf gutes Wetter hoffen.«
Extremwetter macht den Fischern zu schaffen
Am Golf von Lagonoy hatte eine Kaltfront geherrscht, weshalb sich niemand auf die raue See wagte. Die Wellen schlugen zu hoch für die Kanus der traditionellen Fischer. Die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Wetterlage mit heftigem Regen und starkem Wind brachte die Männer mit den schmalen Booten tagelang um ihr Geschäft. Vor 20 Jahren, sagt Ernesto Buasan, hätte es so etwas nicht gegeben. Aus dem Büro, vor dem er wartet, dreht sich nun Flordeliza Barasona zu ihm um. Die 59-Jährige führt im Hafen von Tabaco eine »Casa«, an die Fischer ihren Fang verkaufen.
»Als meine Kinder noch zur Schule gingen, gehörte ich zu den Frauen am Hafen, die im Akkord den Fisch ausnahmen, den die Männer aus dem Meer mitbrachten«, erzählt die Buchhalterin. »Doch ich wollte mein eigenes Geschäft.« Kaum war das jüngste der fünf Kinder mit der Ausbildung fertig, trennte sich Flordeliza Barasona von ihrem Mann und eröffnete ihre »Casa«, in der sie auch Zubehör wie Angelschnüre, Köder oder Haken verkauft. Für jeden der Fischer bewahrt sie im Büro ein Ringbuch auf, in dem sie akkurat jeden Fang notiert, samt Datum, Gewicht und Preis. Die bunten Kladden stapeln sich in einem Regal auf dem Schreibtisch. Das rote Buch von Ernesto Buasan liegt nun aufgeschlagen neben dem Taschenrechner, mit dem Barasona die Preise kalkuliert.
Der Thunfisch wandert ab
Ein Gelbflossenthun am Haken eines Kleinfischers ist im Golf von Lagonoy eine Seltenheit geworden. Aufgrund des Klimawandels ist die Temperatur der Philippinensee in den vergangenen Jahre gestiegen. Die Thunfischschwärme haben sich von der Küste entfernt und sind in tiefere, kühlere Meeresschichten abgewandert.16,5 bis maximal 28,9 Grad Celsius sind für die Tiere ideal.
Für Handleinenfischer wie Ernesto Buasan sind die Raubfische mit den gelben Rückenflossen nur noch schwer erreichbar: Die Männer fischen mit einer einzigen Schnur, an der ein Haken hängt – per Hand. Mit ihren Kanus weiter aufs Meer hinaus zu fahren, um den Fischschwärmen zu folgen, ist riskant und aufwendig. Die schmalen Boote sind alles andere als hochseetauglich, zudem sind die Männer für dieselbe Menge Fisch viel länger unterwegs als früher.
Dass der Gelbflossenthun in der Region überfischt ist, macht es nicht einfacher. Auf hoher See sind große Schiffe unterwegs, die mit Treibnetzen, Lockbojen, Ringnetzen oder Langleinen arbeiten. Letztere sind mit tausenden Haken bestückt, Ringnetze kesseln ganze Schwärme ein, Lockbojen gaukeln den Tieren Deckung vor: Hunderte von ihnen lassen sich so aus dem Wasser ziehen. Die industriellen Fangmethoden gefährden den Thunfischbestand und den anderer Arten. Viel zu junge Tiere gehen ins Netz, mit ihnen Haie, Rochen, Schildkröten, Delfine und Meeresvögel. Das lässt Naturschützer aktiv werden, hält die Fischereiflotten aber nicht von der Jagd ab. Zu groß ist in Europa und anderen Teilen der Welt die Nachfrage nach Thunfisch aus den Philippinen. Er wird zu Sushi, landet auf Tiefkühlpizza oder endet in Konservendosen.
Dass die Fischbestände schwinden und das Klima sich verändert, ist auch 85 Kilometer nordöstlich, auf der anderen Seite des Golfs von Lagonoy zu spüren. Hier in Batalay, einem Örtchen auf der Inselprovinz Catanduanes, befindet sich der »Mangrove Eco Parc«, ein zehn Hektar großes Mangrovengebiet, das ein Wiederaufforstungsprogramm gerettet hat. Weil der Meeresspiegel steigt, sind die Bäume nun gefährdet und mit ihnen ein kilometerlanges Ökosystem, das unzählige Vogelarten, junge Fische und andere Wassertiere beherbergt.
Aufgeben ist keine Option
Nur wenige Meter vom Ufer entfernt leben Adela und Rufino Apostolero in Batalay. Sie ist 76 Jahre alt, ihr Ehemann ist 14 Jahre jünger. Jeden Tag fährt der pensionierte Lehrer mit dem Boot die Mangroven entlang und kontrolliert die Unterwasser-Käfige. In den vergitterten Kisten zieht er Flusskrebse auf, um sie später für umgerechnet acht Euro pro Kilo als Delikatesse zu verkaufen. Die Krebse sind eine Alternative zur Thunfisch-Fischerei, die Apostolero noch nicht ganz aufgegeben hat.
Sie sei nicht um ihren Mann besorgt, wenn der auf Jagd gehe, sagt Apostolero. Angst gemacht hat dem Ehepaar allerdings der Taifun »Nock-ten«, im Rest der Welt bekannt unter dem Namen »Nina«. An Weihnachten 2016 fegte der schlimmste Sturm seit 56 Jahren mit Windgeschwindigkeiten von 260 Kilometern pro Stunde über die Philippinen. Die Apostoleros und ihre Nachbarn wurden evakuiert und harrten tagelang in einer Halle aus. »Als wir zurückkamen, war von unserem Haus nur noch das Dach übrig, da auf der Straße lag«, erzählt Adela Apostolero.
Das Paar gab den gesamten Vorschuss auf seine Pension aus, um ein neues Haus zu bauen. »Kommt noch einmal so ein Sturm, dann sind wir obdachlos, denn Geld haben wir jetzt nicht mehr«, sagt der ehemalige Lehrer und lächelt trotzdem. »Das schaffen wir schon irgendwie. Wir haben schon öfter das Haus reparieren müssen.«
Taifune mit starker Zerstörungskraft
Vielleicht sind die Filipinos so gelassen, weil sie Stürme gewohnt sind: Durchschnittlich einmal im Monat wirbelt ein Taifun ihr Leben durcheinander. Nicht alle sind so stark wie Nina, doch die Apostoleros haben den Eindruck, dass die Taifune in den letzten Jahren gefährlicher geworden sind: »Früher kam das Wasser nicht bis ans Haus heran«, sagt Adela Apostolero, »doch jetzt passiert das immer öfter.«
Die Daten aus der Wissenschaft geben der 76-Jährigen Recht: Die globale Erwärmung fördert die klimatischen Bedingungen, unter denen starke Stürme überhaupt entstehen können. Laut Oxfam, einem internationalen Verbund verschiedener Hilfsorganisationen, hat sich in den vergangenen 40 Jahren die Häufigkeit besonders starker Taifune im pazifischen Raum mehr als verdoppelt, in Zukunft dürfte ihre Zerstörungskraft weiter zunehmen. Um ein Drittel, so schätzt die Weltbank, könnten zudem die Regenmengen, die mit den Stürmen aufs Land treffen, anwachsen – und mit ihnen steigt in den Küstenregionen das Überschwemmungsrisiko. Für die Mangrovenwälder in Batalay ist das ebenso fatal wie für die Menschen dort: Taifunen wie Nina halten weder die Bäume noch die Behausungen der Bewohner Stand.
Auf den Philippinen – dem Land mit der längsten Küstenlinie der Welt – ist der Klimawandel Realität. Laut Recherchen des Netzwerks »Correctiv« steht der Hauptstadt das Wasser jetzt schon bis zum Hals: In den vergangenen 50 Jahren ist der Meeresspiegel in Manila um mehr als 80 Zentimeter gestiegen – höher als an jedem anderen Ort der Welt. Im Falle einer Erderwärmung um vier Grad, das ergab eine Studie internationaler Klimaforscher, sind mit großer Wahrscheinlichkeit weitere 63 Zentimeter zu erwarten.
Ein Gütesiegel für den Fisch
Die Bedingungen, unter denen die Menschen an den philippinischen Küsten leben und arbeiten, werden immer unbequemer. Und mit dem Thunfisch droht die Lebensgrundlage tausender Familien zu verschwinden. Pessimistisch sind die Menschen aus der Region Bicol dennoch nicht. Statt zu verzweifeln, erwägen viele von ihnen Alternativen und versuchen, sich anzupassen: Wer weniger Fisch fängt, eröffnet etwa einen Kiosk in seiner Hütte, um die Schulgebühren für die Kinder trotzdem bezahlen zu können. Wer wegen des Wetters nicht aufs Meer hinaus kann, bietet im Dorf seine Dienste als Tischler an. Und wer trotz allem weiter an den Thunfisch glaubt, der setzt sich dafür ein, dass sein Fang ein Gütesiegel erhält.
Ohne Hilfe funktioniert das aber nicht: Traditionelle Fischerfamilien unterstützt beispielsweise die US-amerikanische Non-Profit-Organisation. Am Golf von Lagonoy setzt sich die Naturschutzorganisation WWF zusammen mit dem lokalen Projektpartner Tambuyog für eine nachhaltigere Thunfischfischerei ein. Das Team unterstützt die Zusammenarbeit von Handleinenfischern, Behörden und Industrievertretern. Ein Ziel der Arbeit ist das MSC-Siegel für den Thunfisch aus der Region, damit die Fischer am Markt höhere Preise erzielen und sich die Bestände erholen können. Mittlerweile gibt es an manchen Küsten Schutzzonen, wo das Fischen verboten ist. Und viele der 5500 Fischer, die in das Projekt involviert sind, versehen ihren Fang inzwischen mit Zertifikaten, die Auskunft über Fangzeit und Ort geben. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Import in EU-Länder. Damit sich der Gelbflossenthunfisch erholen kann, ist es mittlerweile verboten, Exemplare zu fangen, die weniger als 20 Kilogramm wiegen.
Davon ist der 42,5-Kilo-Koloss, der sich in Ernesto Buasans Haken verbiss, weit entfernt. Er war der zweitgrößte Thunfisch, den Flordeliza Barasona in ihrer Casa einem Fischer heute Morgen abgekauft hat. Die 59-Jährige schreibt sorgfältig ein paar Zahlen in das rote Ringbuch und reicht Buasan den Taschenrechner, damit er die Ziffern auf dem Display sehen kann. Der Fischer lächelt erleichtert und bedankt sich: 9775 Pesos bietet sie ihm für seinen Thunfisch an, das sind umgerechnet knapp 169 Euro. Dazu noch einmal 500 Pesos – 8,70 Euro – für jede der beiden Goldmakrelen.
Anschreiben für Treibstoff
Das Geld bekommen die Fischer in bar – sofern sie keine Schulden bei Barasona haben. »Viele lassen mittlerweile bei mir anschreiben, wenn sie gerade kein Geld übrig haben und beispielsweise neue Netze oder Treibstoff für die Boote benötigen«, erzählt die 59-Jährige. Bezahlen könnten die Männer später mit Fisch, sobald sie wieder welchen gefangen haben.
Ernesto Buasan hat keine Schulden. Er bricht auf, weil sonst die Ebbe sein Boot aufs Trockene legt. Der Thunfisch, der nachts um drei Uhr anbiss, hat ihm und seiner Familie die Sorgen genommen. Wenigstens vorübergehend.