Triathlon-Magazin: Faris Al-Sultan beim MTB-Training

Um seine Angst zu überwinden, hat sich Faris Al-Sultan Mountainbike-Nachhilfe geben lassen. Wir waren mit dem Hawaiisieger und dem Offroad-Spezialisten Mike Kluge im Gelände

von Sina Horsthemke

 

Rosinante hat noch mal Schwein gehabt. Das alte Mountainbike von Faris Al-Sultan musste doch nicht in den Zittauer Dreck. Fast hätte es auf seine alten Tage noch das ruppige Streckenprofil der ITU-Weltmeisterschaft im Crosstriathlon unter die porösen Stollenreifen bekommen – eine schlammige, anspruchsvolle Rennstrecke über 36 Kilometer rund um den Olbersdorfer See. Dann kam zwei Tage vor dem Rennen vom Sponsor ein neues Arbeitsgerät – gerade noch rechtzeitig.

„Meine alte Rosinante war zu ihrer Zeit eine echte Schönheit“, schreibt Al-Sultan beinahe entschuldigend auf seiner Website. „Aber auf technisch anspruchsvollen Bergabpassagen dachte ich im Training, sie bricht auseinander.“ Gegen das Rad, das dann geliefert wurde, kam Rosinante auch einfach nicht an: hippe 29 Zoll, eine elektronisch gesteuerte Federgabel, die modernste Schaltung – „ein brutales Teil, mit dem ich nicht auf die Schnauze, sondern über den Kurs fliegen werde“, war Al-Sultan begeistert. Dass er am Ende bei der Cross-Weltmeisterschaft im Zittauer Gebirge doch nur als 41. ins Ziel kam, begeisterte ihn weniger; zweistellige Platzierungen sieht man nur selten in der Erfolgsliste des Hawaiisiegers von 2005. Aber: „Es war ein Spaß. Die ersten acht Kilometer waren relativ einfach und bergauf. Danach ging es in den Schlamm, und jegliche sportlichen Ambitionen erstarben.“ Andererseits stand eine vordere Platzierung bei einem Crossrennen ja ohnehin nicht ganz oben auf Al-Sultans Wunschliste für die Saison 2014. Im Gegenteil: „Schlüsselbeinfreundliches Fahren“ war das Ziel für das Rennen in Sachsen und natürlich die Sache an sich: das Abenteuer im Dreck, die Abwechslung.

 

Mehr als nur Glückssache

Dass der Triathlonprofi tatsächlich ohne Schlüsselbeinbruch über die schwierige Radstrecke kam, hat er nicht nur seinem neuen Mountainbike, sondern auch Mike Kluge zu verdanken. Der dreifache Weltmeister im Cyclocross hatte Al-Sultan einen Monat vor dem Rennen Nachhilfe gegeben und dem Münchner bei einem ausführlichen Privattraining in Berlin gezeigt, dass Rosinante durchaus in der Lage ist, schwierige Passagen im Gelände zu meistern, ohne ihren Fahrer abzuwerfen. „Ob ich irgendwo lebend runterkomme, sollte keine Glückssache mehr sein“, begründet Al-Sultan die Aktion.

Eine gute Idee, sich vor einem Rennen im Gelände mit dem Thema Fahrtechnik auseinanderzusetzen. Noch besser war die, ausgerechnet Mike Kluge um Hilfe zu bitten: Wenn einer abseits von Wegen Rad fahren kann, dann er. Der 52-Jährige gewann in den 1980er-Jahren als Amateur einen Titel nach dem anderen und wechselte dann ins Profilager, wo die Erfolge nicht seltener wurden. Fünfmal hintereinander sicherte er sich auf dem Crossrad den Titel des Deutschen Meisters, 1993 folgte DM-Gold auf dem Mountainbike. Auch international bewies Kluge mehrfach, dass er zu den Besten gehört: Nach WM-Gold 1992 gewann er Weltcuprennen in Belgien und Italien und startete bei einigen Mountainbikemarathons, bei denen niemand schneller war.

 

Wie im Schwimm-Trainingslager

Es ist nicht so, dass Faris Al-Sultan vor diesem Zusammentreffen noch nie auf einem Mountainbike gesessen hätte. Zweimal schon war er beim Xterra-Rennen am Titisee angetreten, einmal hatte er das „Cape Epic“ überstanden, ein schwieriges Mountainbike-Etappenrennen in Südafrika. Doch all das war lange her, Rosinante längst verstaubt – und dann war da noch diese Angst. „Ich kann zweifelsohne feste treten und lasse die Leute auf dem Rennrad bergab einfach stehen. Aber sobald ich auf einem Mountainbike sitze, habe ich Todesangst“, gibt der Hawaiichampion zu. „Andere mögen sich sicherer fühlen darauf. Aber ich kriege sofort Hemmungen. Mike hat sich bestimmt gewundert, wie unsicher und ängstlich ich war.“ Hat er nicht.

Aber Mike hat das geändert. Zwei Tage lang hat sich der Cross-Spezialist Zeit genommen für Faris Al-Sultan und seine alte Rosinante, danach waren die beiden wieder ein halbwegs ein- gespieltes Team. „Man kann natürlich nicht innerhalb von ein paar Stunden zu einem besseren Radfahrer werden und die richtige Fahrtechnik sofort umsetzen“, so Al-Sultan. „Aber wenn man erst mal intellektuell verstanden hat, worum es überhaupt geht, dann kann man im Training damit arbeiten – wie nach einem Kurztrainingslager im Schwimmen. Ich habe jedenfalls eine Menge mitgenommen, und Mike hat mir in den zwei Tagen geballtes Wissen über Fahrtechnik und Ausrüstung vermittelt.“

 

Angstaustreibung am Teufelsberg

Der Berliner Teufelsberg an einem Wochenende Mitte Juli. Mike Kluge kann kaum hinschauen, wie unvorteilhaft Faris Al-Sultan auf seiner Rosinante hockt. Der Vorbau zu lang, die Reifen zu alt, der Luftdruck zu hoch – all das ist tatsächlich Grund, während der Fahrt Angst zu haben. „So wie ich es kannte, sitzt man heute jedenfalls nicht mehr auf dem Mountainbike“, so Al-Sultan später. „Und meine Reifen sind in Schräglage auf nasser Straße einfach weggerutscht.“ Dass das passiert, liegt nicht immer am Material, sondern oft am Druck. „Viele fahren im Gelände mit viel zu viel Reifendruck“, meint Kluge. Mehr als zwei Bar sollten es aber nicht sein, und im Idealfall ist vorn etwas weniger Luft drauf als hinten. „Für einen 75 bis 80 Kilogramm schweren Fahrer reichen 1,7 bis 1,8 Bar völlig aus, damit er das Rad auch in Schräglage gut unter Kontrolle hat.“ Ganz schön gewöhnungsbedürftig für einen Triathleten, der sonst mit aller Kraft acht oder mehr Bar in die Reifen seines Aerorenners drückt.

An Rosinantes Rahmengeometrie konnten Al- Sultan und Kluge jetzt, so kurz vor Beginn des dreckigen Crashkurses, natürlich nichts mehr ändern. Aber Kluge macht seinem Schüler schon jetzt eine Neuanschaffung schmackhaft: „Die Vorteile eines 29ers kann man erst ab einer Körpergröße von 1,78 Metern richtig nutzen. Faris, du würdest da wunderbar draufpassen.“ Gut. Dann jetzt los? Nein! Bevor Al-Sultan auf seinem alten Mountainbike vom Weg abkommt, legt Kluge ihm eine Rüstung an. „Wer lernen will zu fallen, sollte Protektoren anziehen“, ist der Cyclocross-Champion rigoros. „Damit man sich nicht jedes Mal wehtut.“ Und damit man lernt, wie sich Fallen überhaupt anfühlt. So könne man den Grenzbereich locker ausprobieren. Überhaupt sei es wichtig, sich im Training mit potenziellen Gefahrensituationen auseinanderzusetzen. „Wenn man weiß, was man dann machen soll, wie man zum Beispiel bei einem plötzlichen Ausweichmanöver sein Gewicht verlagern muss, ist man gleich viel sicherer unterwegs“, erklärt Kluge. „Beim Mountainbikefahren muss man die ganze Zeit extrem konzentriert sein. Zum Beispiel, wenn der Untergrund wechselt oder aus griffigem Boden plötzlich loser Schotter wird.“ Mit diesem letzten Tipp geht es endlich los.

Wenn auch noch nicht in schwierigem Gelände. Auf einem Schotterplatz lernt Al-Sultan zunächst das sichere Bremsen – wer sein Rad jederzeit zum Stehen bringen kann, verliert nämlich schon mal einen Teil seiner Angst. Kluge erklärt: „Angst verursacht Instabilität. Wenn man erst mal das Gefühl hat, jederzeit hart bremsen zu können, auch bergab, dann lässt in der Regel auch die Angst nach. Man muss dafür nur wissen, wie sein Rad funktioniert und wie man es auch in schwierigen Situationen abbremst.“ Das Problem: Viele haben vor hohen Geschwindigkeiten Angst. Aber ausgerechnet das Tempo sorgt auf dem Mountainbike für Sicherheit, auch in unwegsamem Gelände. Kluge vergleicht das Laufrad mit einem Kreisel: „Je langsamer der sich dreht, desto instabiler wird er.“ Auf dem Mountainbike sei es deshalb das A und O, die Bremsen zu beherrschen. Nur nicht in Schräglage, das wäre fatal. Da sollte man es lieber rollen lassen, „denn dann passiert alles langsamer, und man hat mehr Zeit, zu reagieren“. Im Stand hebt Kluge plötzlich Rosinantes Hinterrad hoch in die Luft. Al-Sultan, der sich dabei tapfer im Sattel hält, soll ein Gefühl dafür bekommen, ab wann er sich bergab überschlagen würde. Ziemlich spät eigentlich erst – da geht viel mehr, als er denkt.

 

Hawaii-Sieger am Idiotenhügel

Das gleiche wird dann an einem kleinen Hügel geübt, „am Idiotenhügel“, wie Al-Sultan sagt. Noch ein paar Mal Anfahren am Berg, dann geht es zurück ins Flache: Auf einem Schotter- weg feilen die beiden wieder an der allgemeinen Radbeherrschung. Al-Sultan soll Kreise fahren, die immer enger werden. Und danach einen Hindernisparcours aus Radflaschen im Slalomkurs überwinden – das Vorderrad soll links, das Hinterrad rechts an der ersten Flasche vorbeifahren, dann umgekehrt. Links, rechts, links, rechts – gar nicht so einfach! Und Kluge weiß auch, warum: „Viele können keine engen Kreise fahren, weil sie gar nicht wissen, dass das Vorderrad immer einen größeren Radius fährt als das Hinterrad.“ Was das bedeutet? „Dass das Hinterrad auch mal über einen Stein poltert, um den man das Vorderrad noch elegant herumgelenkt hat.“

Mountainbiken ist Ganzkörperarbeit: Man muss permanent mit seinem Körpergewicht agieren und es ganz bewusst verlagern können. Und die Position auf dem Sattel ist wichtig, schiebt Kluge noch nach: „Je weiter hinten man sitzt, desto besser läuft das Rad geradeaus. Und je weiter vorn man sitzt, desto schneller kann man um enge Kurven fahren.“ Das Problem beim Kurvenfahren: Wenn man zu schnell in die Neigung fährt, geht der Grip verloren. Dann zu bremsen, wäre fatal. Mike Kluges Tipp: „Wenn man den Schwerpunkt absenkt, kann man auch enge Kurven schnell durchfahren. Außerdem muss man stets vorausschauend fahren und dabei permanent nach Ausweichmöglichkeiten suchen.“ Ausweichen ist für Al-Sultan heute keine Option. Schnelle Wenden um 180 Grad, Sprünge über kleine Hindernisse und möglichst geschicktes Auf- und Absteigen stehen als nächstes auf dem Programm. Letzteres zu üben, täte vielen Triathleten gut, findet Al-Sultan. „Man muss sich ja nur mal an den Ausgang einer Wechselzone stellen – das ist zum Totlachen!“

 

Stürze ins Gebüsch

Ein Mountainbike heißt Mountainbike, weil man damit in den Mountains biket – und deshalb geht es jetzt für Al-Sultan an den Hang. Sein größtes Problem: die Überwindung. „Auf Breitreifen bin ich einfach nicht der Mutigste.“ Der wohl wichtigste Rat für alle, die auf dem Mountainbike oder Cyclocrosser weniger ängstlich sein wollen: Ruhe bewahren. Und zwar auch, wenn es mal brenzlig erscheint. Wenn etwa bergab das Hinterrad abhebe, erklärt Kluge, müsse man einfach schnell die Bremse öffnen – schon sei man raus aus der Überschlagssituation. „Da darf man sich vom ersten Schreck nicht übermannen lassen.“ Es folgen ein paar Stürze von Rosinante ins Gebüsch und weitere Tipps von Kluge, dann ist die Abfahrt, die eben so gefährlich aussah, kaum noch ein Problem für Faris Al-Sultan. Kluge ist zu- frieden mit seinem Schüler: „Jetzt fährt er schon viel kontrollierter als am Anfang. Es war wirklich schlau von ihm, mal so ein Fahrtechniktraining zu machen. Ich bin mir sicher, dass er sich auf dem Rad jetzt viel wohler fühlen wird.“
Der Münchner Profi sieht das genauso: „So ein Fahrtraining ist eine echte Bereicherung – für alle Triathleten. Es ist ja teilweise erschreckend, wie schlecht selbst gestandene Profis ihr Rad beherrschen. Die haben das teilweise überhaupt nicht unter Kontrolle.“ Einmal pro Woche will Al-Sultan nun Mountainbike fahren. Mit dem neuen 29er, nicht mehr mit Rosinante. Kluge ist erleichtert: „Mit der kann er höchstens noch Brötchen holen fahren.“